Als Christine Wachtel mit einem Husarenritt die Weltelite düpierte

Christine Wachtel (l.) und Sigrun Grau (Nr. 144) waren vor 25 Jahren ein Weltklasse-Duo über 800 Meter. (Foto: Archiv)

Christine Wachtel stellte mehrere Weltrekorde über 800 und 1000 Meter auf. Sie war dreifache Hallenweltmeisterin und Vize-Europameisterin über 800 Meter und WM-Dritte mit der 4x400-Meter Staffel. Bei den Olympischen Spielen in Seoul holte sie 1988 hinter ihrer Neubrandenburger Vereinskameradin Sigrun Grau die Silbermedaille über 800 Meter.

Doch Christine Wachtel erinnert sich gern an ein Rennen, das für sie noch überwältigender war. 1985 foppte die damals gerade 20-Jährige beim Weltcup-Finale im australischen Canberra im Schlussspurt die gesamte namhafte Konkurrenz. Die immer noch amtierende 800-Meter-Weltrekordlerin Jarmila Kratochvilova (CSSR) und Nadeshda Olisarenko (UdSSR) sahen auf den letzten 200 Metern nur die Hacken der Neubrandenburgerin, die heute mit einem Journalisten verheiratet ist und den Nachnamen Guth trägt.

"Ein gutes halbes Jahr zuvor konnte ich nicht einen Schritt laufen", erinnert sich die 48-Jährige. Ursache waren schmerzhafte Rückenbeschwerden, die erstmals im Mai 1984 aufgetreten waren. Eine regelrechte Odyssee von Arztbesuchen folgte, das Leiden blieb. Die talentierte Mittelstrecklerin hatte die Hoffnung auf die Fortsetzung ihrer Karriere schon fast aufgegeben, da entdeckten die Mediziner einen kleinen Knochenspalt im Beckenbereich."Ob angeboren oder anderweitig entstanden, konnte mir niemand sagen", erläutert die Mutter zweier Kinder. Für den Heilungsprozess war ein Gips-Korsett nötig – drei Monate Bettruhe. Auch Anfang 1985 war an Lauftraining nicht zu denken.

Meistertrainer Walter Gladrow wusste wie so oft Rat. Der Coach ließ an einem alten, metallenen Bürostuhl längere Beine anschweißen und die vordere Querstrebe entfernen. Sein Schützling befestigte an den Fußgelenken Leder-Manschetten, an die Gummibänder angebracht werden konnten. Diese wiederum wurden dann zwei Meter entfernt an einer Sprossenwand fixiert. So konnte Christine Wachtel im Sitzen schmerzfrei durchaus anstrengende "Laufeinheiten" gegen den Widerstand der elastischen Seile absolvieren. Die Methode hatte Erfolg. Die Verletzung heilte aus.

Im März konnte die SCN-Leichtathletin wieder mit dem Lauftraining beginnen, die Form kam zurück. Dass der Weltcup in Australien erst im Oktober stattfand, kam Trainer und Athletin zusätzlich zur Hilfe."Wenn das ein Bummelrennen wird und du dann irgendwann das Tempo anziehen willst, dann musst du das mit Karacho machen", hatte ihr Walter Gladrow noch kurz vor dem Start eingeschärft. Wachtel setzte den Plan vorzüglich in die Tat um, bezwang die völlig überraschte Weltelite deutlich."Nach dem Dilemma vorher, dann so ein Sieg, das vergesse ich mein Leben lang nicht", sagt sie heute. Zu ihrem Trainer hatte sie immer vollstes Vertrauen und großen Respekt zugleich. "Der war immer für uns da, auch als einfühlsamer Mensch“, verrät die heute im öffentlichen Dienst Beschäftigte.

Auf die Olympia-Tortur 1988 mit Vorlauf, Halbfinale und Entscheidung an drei aufeinander folgenden Tagen hatte Walter Gladrow seine Schützlinge mit besonderer Trainingshärte optimal vorbereitet. Im Finale sorgte der "Gladrow-Express" für Tempo; am Ende konnte nur die Amerikanerin Kim Gallagher gerade noch so folgen und Dritte werden. "Natürlich habe ich viel aus dieser Zeit für mein heutiges Leben mitnehmen können", sagt Christine Guth. "Die Butter lasse ich mir seither jedenfalls nicht so schnell vom Brot nehmen."

Zum eigenen Sporttreiben bleibt aktuell wenig Zeit, doch mit dem Herzen ist die einstige Weltklasseläuferin immer noch voll dabei. Allerdings wundert sie sich immer wieder über die Kommentare einiger Athleten, die ihr Leistungsvermögen nicht ausschöpfen konnten. "Wenn wir früher angetreten sind, wollten wir gewinnen und nicht nur dabei sein."

Zurück