Anti-Doping-Newsletter des DLV - Juni 2010

Da ist einer, der wirft einen Weltrekord, an dem sich eine ganze Generation von Diskuswerfern die Zähne ausbeißt. Und doch wünscht er sich, dass "er so schnell als möglich überboten wird". Statt stolz zu sein und zu hoffen, dass die 74,08 Meter vom 6. Juni 1986 auch diese Saison übersteht und im nächsten Jahr dann 25. Geburtstag feiert, nervt Jürgen Schult die älteste Weltbestleistung der olympischen Männer-Leichtathletik. "Sie interessiert mich schon lange nicht mehr", sagt der ehemalige Sportler des SC Traktor Schwerin, der in Neubrandenburg diesen Jahrhundertweltrekord aufstellte und dabei die damalige Bestmarke von Yuri Dumtchev (USR) gleich um 2,22 Meter übertraf.

Es war Schults perfektester Wurf seiner fünfzehnjährigen Karriere in der Weltspitze. Der damals 26-Jährige war athletisch und motorisch bestens in Form. Die seinerzeit von nur wenigen beherrschte Umsprungtechnik klappte maximal und erlaubte höchste Dynamik beim Abwurf. Gleichmäßiger Gegenwind und eine zusätzliche Bö in der letzten Flugphase sorgten dafür, dass der Diskus bei 70 Meter noch einmal Aufwind bekam und schließlich bei der Marke einschlug, die auch nach 24 Jahren noch nicht übertroffen worden ist.

Der im Amt Neuhaus an der Elbe Geborene erinnert sich: "Nicht nur ich – Trainer, Club, Verband, Medien – alle waren euphorisch, ja, trunken." Danach wurde er stets an diesem 74-Meter-Wurf gemessen. Dabei sei ihm klar gewesen: "Es war ein Glückswurf. So einer gelingt nur einmal im Leben. Da passte alles. Unter normalen Bedingungen kann ich um die 70 Meter werfen. Aber das wollte keiner hören." Dem Rekordflug folgte wenige Wochen später der Absturz. Bei den EM in Stuttgart landete er auf Platz sieben. Prompt kam die ultimative Forderung des DDR-Verbandes (DVfL), zur alten Technik zurückzukehren.

Etwas Entscheidendes bewirkte dieser denkwürdige Wurf dennoch: Jürgen Schult strotzte danach vor Selbstvertrauen: "Mensch, du kannst es doch!" Trotzdem denkt der gerade 50 Jahre alt Gewordene schon seit langem nicht mehr an den Rekord. "Ich wäre sogar froh, wenn er endlich fallen würde", sagt Schult genervt. Am ehesten traut er das Kunststück dem estnischen Olympiasieger Gerd Kanther (73,38 m) und Weltmeister Robert Harting (Berlin/68,65) zu. Doppel-Olympiasieger Virgilijus Alekna (Litauen), der im Jahr 2000 mit 73,88 Meter die Bestmarke ankratzte, sollte seinen Zenit überschritten haben.

Wie dem auch sei, nach dem Rekordwurf verwandelte sich der vorherige Trainingsweltmeister Jürgen Schult in einen wirklichen Weltmeister: 1987 eroberte er mit 68,74 Meter Gold in Rom. Ein Jahr später legte er bei Olympia im südkoreanischen Seoul im ersten Versuch 68,82 Meter vor, die niemand mehr übertraf. "Dieser Sieg ist für mich das Größte", so Schult, der insgesamt neun Medaillen bei Olympia (Gold/Silber), WM (Gold/Silber/zweimal Bronze) und EM (Gold/Silber/Bronze) errang. Ausdrücklich dankt er heute noch seinem Trainer Hermann Brandt, der ihn über Jahrzehnte sportlich begleitete.

Nach der Wende ging "Schulle" andere konzeptionelle Wege, war quasi von 1993 bis zum Karriereende 2000 sein eigener Trainer. 2001 übernahm der erfolgreichste deutsche Diskuswerfer die Funktion des Teamchefs und Verbandstrainers Diskus im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Von da an ging es aufwärts. Junge Leute waren international ebenso erfolgreich wie die Gestandenen. Die Krönung war der WM-Titel 2009 von Robert Harting.

Bei der bevorstehenden EM in Barcelona sollen drei deutsche Diskuswerfer starten und mindestens eine Medaille holen. So zumindest lautet die Vorgabe des Disziplintrainers. Der jetzige Wahl-Potsdamer kennt den Betonring und gibt spaßeshalber schon mal in die Mindestqualität des Edelmetalls vor – Silber. Denn eine solche holte er in der katalanischen Metropole bereits 1992 – es war seine zweite Medaille bei Olympischen Spielen.

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