Entwicklung der Volkslaufbewegung in Mecklenburg-Vorpommern

Bis Mitte der siebziger Jahre des 20 Jahrhunderts konnte in den drei Vorgängerbezirken des heutigen Mecklenburg-Vorpommern (wie auch in der übrigen DDR) von einer Volkslaufbewegung im Sinne der in den 60er Jahren in den alten Bundesländern entwickelten Volksläufe keine Rede sein, obwohl der Sport in der damaligen DDR zu allen Zeiten eine große Bedeutung hatte. Der Sport allgemein und damit auch das Laufen als Grundsportart ruhte im Wesentlichen auf zwei Säulen.

Extrem gefördert wurde der Leistungs- bzw. Spitzensport (im heutigen Mecklenburg-Vorpommern konzentrierte er sich damals allein auf die drei Leistungssportzentren in Rostock, Schwerin und Neubrandenburg) sowie der Kinder- und Jugendsport (im Wesentlichen als Sichtung für den Leistungs- bzw. Spitzensport in den genannten Sportclubs).

Daneben wurde der Gesundheitssport für die sonstige Bevölkerung propagiert und auch gefördert. Träger dieses Gesundheitssports waren aber weniger der DTSB als zentrale Sportorganisation der DDR sondern in erster Linie die Betriebe und die Gewerkschaften. In diesem Rahmen spielte auch das Laufen eine Rolle. Zum Beispiel gab es ab 1967 die "Lauf dich gesund"-Bewegung, ab 1973 die Meilenbewegung "Eile mit Meile", wobei es gelang, große Teile der Bevölkerung vor allem bei Betriebssportfesten und sogenannten "Sportfesten der Werktätigen" an den Start zu bringen. Hier ging es aber meist nur über vergleichsweise kurze Laufstrecken bis 2 Kilometer, wobei die erreichten Laufzeiten untergeordnet waren. Die Freude am Laufen in der Gemeinschaft sollte entscheidend sein und entwickelt werden.

Die wettkampforientierten Läufer außerhalb des Leistungssports in den Sportclubs und des Kinder-und Jugendsports führten ein Nieschendasein. Es gab für sie in der ganzen DDR nur wenige Startmöglichkeiten, obwohl die kleine Anzahl von Läufern überwiegend ein relativ hohes Leistungsniveau hatten, das nahe an das Niveau der in den Sportclubs trainierenden Läufer heranreichte.

Eine entscheidende Änderung erfuhr die Laufbewegung auch im heutigen Mecklenburg-Vorpommern Mitte der 70er Jahre. Da begann die Ära des Rennsteiglaufs in Thüringen mit ungeheuren Auswirkungen auf den Volkslaufsport. Der Rennsteiglauf als Laufevent außerhalb der damals vom DTSB gewollten und geförderten Sportbewegung faszinierte vor allem die jungen Menschen in und außerhalb der Sportvereine (obwohl der Lauf damals die für damalige Verhältnisse gewaltige Länge von 75 Kilometer auf schwierigem Terrain hatte; erst später kam der 45-Kilometer-Lauf dazu, noch viel später der Halbmarathon). Die Teilnahme am Rennsteiglauf war für viele ein Traum. Dazu musste man allerdings trainieren, um dort gut abzuschneiden bzw. den Lauf zumindest gut zu überstehen.

Hinzu kam, dass der Veranstalter eine Teilnehmerbegrenzung bei ein paar tausend Läufern setzte und es nicht einfach war, an die begehrten Meldekarten für den Rennsteiglauf heranzukommen. Bereits ab Ende der 70er Jahre konnten die begrenzten Meldekarten nur über die DTSB-Kreisvorstände bezogen werden, und da galt für die Verteilung in erster Linie das Leistungsprinzip.

In dieser Zeit wurden auch im heutigen Mecklenburg-Vorpommern viele Laufgruppen gegründet, in denen ein organisiertes Lauftraining gepflegt wurde. Die Laufgruppen integrierten sich grundsätzlich in bestehende Sportvereine und damit auch in das bestehende Sportsystem der DDR. Das hatte neben der Tatsache, dass man nur so an eine der begehrten Startkarten für den Rennsteiglauf herankam, auch den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass man so die Trainingsmöglichkeiten und vor allem die finanziellen Hilfen der Sportvereine (die in der DDR durch Betriebe und Verwaltungen erheblich gestützt wurden) in Anspruch nehmen konnte.

In den damaligen Kreisen der drei Nordbezirke gab es in der zweiten Hälfte der 70er Jahre die ersten Volksläufe, an denen vor allem die leistungsorientierten, in Sportvereinen organisierten jüngeren männlichen Läufer teilnahmen. In den 80er Jahren kamen dann mehr und mehr weibliche Teilnehmer dazu. Die Streckenlängen bei diesen lokalen Läufen betrugen meist zwischen 10 und 20 Kilometer. Sehr beliebt waren die Stundenläufe auf den damaligen Sportplatzaschenbahnen, die in großer Zahl organisiert wurden.

In Verbindung mit den damaligen Bezirksfachausschüssen für Leichtathletik (BFA) wurden ab 1978 in allen drei Bezirken des heutigen Mecklenburg-Vorpommern die sogenannten Ranglistenläufe als Vorläufer des heutigen LVMV-Laufcups durchgeführt, an denen die in Leichtathletikvereinen bzw. Laufgruppen organisierten aktiven Läufer um Wertungspunkte kämpfen konnten. Die zu absolvierenden Streckenlängen lagen allgemein zwischen 10 Kilometer und Marathon.

Jeder Bezirk bemühte sich um eigene Laufhöhepunkte. Im Bezirk Rostock waren das zunächst die Städteläufe mit Hunderten von Teilnehmern, in Schwerin kam etwas später der Fünf-Seenlauf dazu, dessen Starterzahlen gleich die Tausendergrenze überschritten. Für viele Läufer konnten die Strecken nicht lang genug sein. So begann z.B.die Städtelelaufserie1977 mit dem Lauf von Rostock nach Stralsund über 75 Kilometer, was der Laufstrecke auf dem langen Rennsteig entsprach.

In den 80er Jahren wuchs das Laufangebot beträchtlich. Dabei handelte es sich zum großen Teil um kombinierte Straßen-und Volksläufe im Sinne der heutigen Definition mit exakt vermessenen, bestenlistenreifen Strecken. Das erreichte Leistungsniveau bei den Volkssportlern stieg ständig an (sowohl in der Breite als auch in der Spitze), was zunächst vor allem auf die jüngeren männlichen Läufer, ab Mitte der 80er Jahre dann auch auf die M40 und M45 zutraf. Noch heute kann man an den ewigen Bestenlisten im Straßenlauf und an den registrierten AK-Bestleistungen für Mecklenburg Vorpommern ablesen, dass in dieser Zeit bis Anfang der 90er Jahre speziell in diesen Altersklassen nicht nur im Spitzen- sondern auch im Breiten- bzw. Volkslauf ein Leistungsniveau erreicht wurde, von dem wir zur Zeit nur träumen können.

Zu Beginn der 90er Jahre nutzten viele Volksläufer in Mecklenburg -Vorpommern zunächst die neu gewonnene Reisefreiheit zu Starts in den alten Bundesländern sowie im westlichen Ausland. Das Laufgeschehen im eigenen neu gegründeten Bundesland geriet etwas ins Hintertreffen. Zudem kam es in den bisherigen Sportvereinen zu erheblichen Umstrukturierungen. Die bisher automatisch zufließenden erheblichen finanziellen Mittel der Großbetriebe und staatlichen Einrichtungen flossen nicht mehr, jeder Verein musste ums Überleben kämpfen.

Die Mitgliedsbeiträge wurden meist drastisch erhöht. Es ging auf Sponsorensuche, was im ärmsten deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern nicht einfach war. Eine Reihe von Vereinen schafften den Überlebenskampf nicht; auch einige Laufgruppen und mit ihnen einige von diesen Laufgruppen organisierte Volksläufe verschwanden. Dafür entstanden ungefähr ab Mitte der 90er Jahre neue Laufgruppen und mit ihnen auch nach und nach viele neue Läufe, so dass man heute auch im kleinen bevölkerungsarmen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern fast an jedem Wochenende mehrere Läufe zur Auswahl hat.

Für die leistungsorientierten Läufer/innen wurde bereits 1991 unter der Regie des Leichtathletik-Verbandes (LVMV) der Laufcup installiert, der die bisherigen Ranglistenläufe der drei Vorgängerbezirke nun für das gesamte Bundesland vereinheitlichte. Dieser Laufcup hat sich bis heute sehr gut entwickelt. Die meisten leistungsorientierten Läufer/innen des Landes mit Startpass des LVMV nehmen daran teil. Für die sonstigen Volksläufer wurden neben vielen kleinen lokalen Läufen und bereits bestehenden Großveranstaltungen wie dem Schweriner Fünf-Seen-Lauf und dem Usedom-Marathon einige neue Laufevents installiert, wie z.B. der Tollenseseemarathon in Neubrandenburg, die Rostocker Marathonnacht, der Darßmarathon, der Rügenbrückenlauf, der Cap Arkona-Lauf auf Rügen sowie der Ostsee-Staffelmarathon auf dem Fischland.

Alle diese Läufe können mindestens tausend Volksläufer oder noch wesentlich mehr als Teilnehmer begrüßen. Mehr als in den anderen Bundesländern sind die weitaus meisten Volkssportläufer in Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor in Vereinen, die fast alle auch dem Leichtathletik-Verband angeschlossen sind, organisiert. Wir bemühen uns, diesen Zustand der Einbeziehung der Volkslaufbewegung in die Strukturen des Leichtathletik-Verbandes auch in Zukunft zu erhalten.

Etwas traurig ist allerdings, dass das Leistungsniveu bei unseren Volksläufen gegenüber den 80er Jahren erheblich gesunken ist. Durch den heutigen Bewegungsmangel bei großen Teilen der Bevölkerung ist die sportliche Leistungsfähigkeit und speziell die Ausdauerfähigkeit gesunken. Hat mancher früher noch ernsthaft überlegt, ob er sich mit einem Leistungsvermögen von 45 min noch an den Start zu einem 10-Kilometer-Volkslauf stellen kann, ist es heute schon normal, dass einige gelaufenen 10-Kilometer-Zeiten die Stundengrenze überschreiten. Das hat allerdings auch seine Vorteile. Die älteren Läufer/innen, auch die über 70-jährigen, sind weiterhin dabei, und vielen Neueinsteigern ist dies eine erhebliche Motivationshilfe, können sie sich doch auch mit relativ mäßigen Laufzeiten noch im großen Läuferfeld behaupten.

Insgesamt ist festzustellen, dass die Läuferschar immer älter wird. Bei den Läufern, die am Laufcup in Mecklenburg-Vorpommern teilnehmen, haben ca. 75 Prozent bereits das 40. Lebensjahr überschritten. 25 Prozent der Laufer sind über 60 Jahre alt, das sind ungefähr so viele wie in den Altersklassen U18 bis M/W 45 insgesamt. Das Verhältnis ist selbst bei den Frauen nicht viel anders als bei den Männern. Bei den reinen Volksläufen ist die Tendenz für die jüngeren Läufer/innen zwar etwas besser, aber auch hier überwiegen die Teilnehmer ab 40 Jahre eindeutig.

Diese Entwicklung wird allerdings auch durch die starke Abwanderung junger Menschen in die alten Bundesländer sowie durch aufwändige Pendelfahrten der jüngeren Arbeitnehmer zu weit entfernt liegenden Arbeitsplätzen begünstigt. In der letzten Zeit zeichnen sich allerdings positive Tendenzen bei der Heranführung Jugendlicher an Volkslaufveranstaltungen ab. Es zeigt sich, dass überall dort, wo sich engagierte ehrenamtliche Übungsleiter um den Nachwuchs bemühen und ein interessantes freudvolles Training anbieten (wie z.B. im kleinen Ort Laage bei Rostock), auch bei jungen Leuten die Begeisterung für das Laufen geweckt werden kann. Das sollte uns auch optimistisch für die Zukunft machen.

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